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04.03.2025

Wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands besorgniserregend, bei F&I hinter führenden Industrienationen und unter EU-Durchschnitt

Expertenkommission Forschung und Innovation übergibt Jahresgutachten 2025 an Bundesregierung

Wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands besorgniserregend, bei F&I hinter führenden Industrienationen und unter EU-Durchschnitt

Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) übergab am 26. Februar 2025 das Jahresgutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands an den scheidenden Bundeskanzler Olaf Scholz und die Bundesregierung. Es soll für die anstehenden Koalitionsverhandlungen Impulse setzen. Den Akteuren und Multiplikatoren der deutschen Forschungslandschaft wurde der Bericht am 27.02.2025 vorgestellt.

Die sechs Kommissionsmitglieder, Prof. Dr. Uwe Cantner (Vorsitzender, FSU Jena), Prof. Dr. Irene Bertschek (ZEW Mannheim, U. Gießen), Prof. Dr. Guido Bünstorf (INCHER U. Kassel), Prof. Dr. Carolin Häussler (U. Passau), Prof. Dr. Christoph M. Schmidt (RWI U. Bochum) und Prof. Dr. Friederike Welter (IfM Bonn, U. Siegen), bewerteten in guter Tradition die deutsche F&I-Politik und exemplarische Schwerpunktthemen.

Schon die Standortbestimmung, die EFI ihren Analysen von aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen voranstellt, beschreibt in klaren Worten, wie es nach drei Jahren Ampelkoalition steht: "Wirtschaftliche Entwicklung schwach und F&I-System unter Druck". Bei Wachstumsdynamik und bei Forschung und Innovation (F&I) liege Deutschland meist weit hinter den führenden großen Industrienationen China, Japan, Südkorea und den USA sowie unter dem EU-Durchschnitt. Diesen Auswirkungen, die durch Digitalisierung und Umstellung des Energiesystems auf erneuerbare Energien induziert werden, stehen in unzureichendem Maße Innovationen und neue Geschäftsmodelle gegenüber.

Die EFI-Gutachter führen dies darauf zurück, dass die Umsetzung der auf die neuen Ziele Digitalisierung und Dekarbonisierung ausgerichtete F&I-Politik zu langsam stattfand und viele angekündigte Maßnahmen gar nicht umgesetzt wurden. Darüber hinaus mangele es bei dem neuen Politikansatz der Neuen Missionsorientierung an Durchschlagskraft, adäquate Governance-Strukturen der F&I-Politik seien erst noch zu etablieren, positive Effektivität und Effizienz durchgeführter Politikmaßnahmen seien zu hinterfragen und die Rahmenbedingungen für Innovationsforschung seien förderlicher zu gestalten. Industriepolitische Maßnahmen sollten möglichst "horizontal", also branchenunabhängig, gestaltet werden, um einen Wettbewerb um die besten Problemlösungen zu ermöglichen.

Statusbericht und Handlungsempfehlungen wurden bei der Vorstellung des EFI-Gutachtes erläutert. Cantner verdeutlichte, wie dramatisch das Zurückfallen Deutschlands in Bezug auf die einstige Spitzenposition der deutschen Innovationskraft der Auffassung der EFI-Gutachter nach sei. Dies führt bereits dazu, dass Deutschlands Ruf als innovatives Land angekratzt sei. Selbst viele der hier entwickelten bahnbrechenden Ideen wurden außerhalb Deutschlands zur Marktreife gebracht. Beispielsweise bei der Digitalisierung sei Deutschland bereits völlig abgehängt.

Die EFI-Empfehlungen der letzten Jahre führten zwar zu zahlreichen guten Vorsätzen und finden sich auch im Koalitionsvertrag wieder. Doch die Umsetzung, beispielsweise der neuen Missions-Priorisierung der Forschungsthemen, fand nicht statt. Die Missionen waren zu breit angelegt und wurden auch nicht von allen Akteuren der Bundespolitik mitgetragen. Insbesondere die Kommunikation zwischen den Ressorts war mehr als unzureichend. Bertschek ergänzte, dass die Verantwortung der F&I-Politik künftig besser in die Hände eines Ressorts - am besten in die des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) - zu legen seien, um Umsetzungshürden durch schwierige parteiübergreifende Abstimmungen zu vermeiden. Auch würden zu viele bürokratische Hürden und zahlreiche Regularien die Umsetzung von Maßnahmen zur Unterstützung des Innovationsgeschehens in Deutschland behindern.

Schmidt erläuterte, warum EFI der Ansicht sei, dass industriepolitische Ansätze der F&I-Förderung aufgrund begrenzten Fachwissens und mangelnder Marktkenntnis in der Wirtschaftspolitik Limitierungen unterliegen. Daher sollte sich die industriepolitische Unterstützung auf horizontale Maßnahmen konzentrieren und branchenübergreifend ausgerichtet sein, nicht missionsorientiert. Gute Industriepolitik würde unternehmerisches Handeln fördern und die Entstehung und das Wachstum neuer Unternehmen fördern. Bei branchenspezifischem Markt-, System- oder Transformationsversagen könnten und sollten vertikale Maßnahmen lediglich flankieren.

Im Anschluss an diese Gesamtbetrachtung des deutschen F&I-Systems richtet die EFI-Kommission mit drei Schwerpunktkapiteln den Blick auf konkrete exemplarische Problemstellungen, dem transformativen Strukturwandel durch Digitalisierung und Dekarbonisierung, den Quantentechnologien und den Innovationen der Wasserwirtschaft. Insbesondere der Themenschwerpunkt Quantentechnologien zeigt, dass die neue Missionsorientierung der F&I-Politik seit einigen Jahren vor allem Technologiefelder gefördert hat, die ein großes Potenzial haben, sich zu Schlüsseltechnologien zu entwickeln. Zum jetzigen Zeitpunkt ist ein wirtschaftlicher Nutzen einer solchen Förderung jedoch noch nicht gegeben. Die Förderung solcher potenziellen Schlüsseltechnologien der Zukunft gehen - ganz im Gegenteil - zu Lasten der Förderung heutiger Schlüsseltechnologien. Dies spüren vor allem die zahlreichen, sich in einem harten globalen Wettbewerb befindlichen Unternehmen zum Beispiel der Optik- oder der Photonik-Branche.

Sicherlich ist es wenig verwunderlich, dass die Schlüsse der EFI-Gutachter bei einigen Personen des fachlich versierten Auditoriums auch kritische Fragen aufwarf. So wurde in Frage gestellt, ob die alleinige Verantwortung für die F&I-Politik in den Händen des BMBFs liegen sollte, ist dieses doch gerade durch die neue Missionsorientierung der priorisierten Forschung nicht in der Lage, auf die sehr variablen Bedürfnisse der innovierenden Wirtschaft mit ausreichender Flexibilität zu reagieren. Hierfür wurden Beispiele angeführt, die belegen, dass Förderungen interdisziplinärer Innovationsideen abgelehnt wurden, weil diese nicht vollumfänglich in die 'Boxen' der BMBF-Forschungsthemen passten. Die technologische Vielfalt der dreieinhalb Millionen Unternehmen in Deutschland erfordert geradezu die vollkommen themenoffene Ausrichtung innovationsorientierter Forschungsförderung.

Des weiteren wurde aus dem Auditorium berichtet, dass die vor fünf Jahren gegründete Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIN-D) zwar bereits einige vielversprechende Ansätze für disruptive Innovationen entwickeln konnte, es aber an einer ausreichenden Traktion der Industrie zur Übernahme und Weiterentwicklung der Innovationsideen mangele. Einem Kenner des deutschen Innovationsfördersystems stellt sich angesichts solcher Berichte natürlich die Frage, ob die aufmerksame Betrachtung des innovationsschöpfungspfades an dieser Stelle nicht ein Loch habe. Die vorwettbewerbliche Vorlaufforschung greift genau solche sich als grundsätzlich technologisch machbar herausgestellten Innovationsideen auf, untersucht die industrielle Machbarkeit und führt die Innovationsideen bis zu der für die Prototyp-Entwicklung benötigten Reife. Gefördert wird dieser Pfadabschnitt über das wertvollste Programm der deutschen Innovationsförderung, die themenoffene "Industrielle Gemeinschaftsforschung" (IGF) des Bundesmministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).

Die Frage des F.O.M.-Geschäftsführers, Dr. Markus Safaricz, ob die EFI-Gutachter in Anbetracht der seit einigen Jahren immer schwächer werdenden Innovationskraft Deutschlands die Auswirkungen der in Korrelation seit 2020 rückläufigen IGF-Förder-Budgets und mögliche kausale Zusammenhänge mitanalysiert haben, beantwortete Cantner mit 'Nein'. Die IGF bindet jährlich 20-25 Tausend Unternehmen in innovationsorientierte Forschungsprojekte und den damit zusammenhängenden Wissens- und Technologietransfer ein, mehr als jedes andere Förderprogramm in Deutschland, einschließlich der steuerlichen Forschungszulage. Dennoch wurde das zur Verfügung gestellte Förderbudget seit 2020 um ca. 15 % zurückgefahren. Cantner ergänzte seine Antwort mit einer Ausführung, dass ihm und der EFI-Kommission das große Potenzial und der große Nutzen der vorwettbewerblichen IGF-Forschung im deutschen Innovationsgeschehen sehr gut bekannt seien, das sechsköpfige Gutachtergremium sich aber in jedem Jahr ressourcenbedingt nur auf eine sehr eingeschränkte Themenauswahl fokussieren könne. Im Nachgespräch wurde angeregt, in einem der nächsten EFI-Gutachten die Rolle des IGF-Systems als Innovationskatalysator zu untersuchen und der künftigen Bundesregierung diesbezüglich eine Handlungsempfehlung auszusprechen, die zu einer Gesundung der deutschen Innovationskraft wesentlich beitragen kann.

 

EFI-Jahresgutachten 2025:  PDF

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