Die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen "Otto von Guericke" e. V. (AiF) war seit 1963 Verwaltungshelfer des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWK) für das dienstälteste deutsche Förderprogramm, die industrielle Gemeinschaftsforschung (IGF). Über 10.000 mehrjährige Projekte der vorwettbewerblichen Vorlaufforschung wurden seither unter dem Dach der AiF betrieben und trugen über Jahrzehnte erheblich zur enormen Innovationsstärke des Landes bei.
"Doch der [letzte] Verwaltungshelfervertrag aus den 1990er Jahren war mit dem heutigen Vergaberecht nicht mehr vereinbar", begründete Ministerialdirigentin Dr. Daniela Brönstrup, Abteilungsleiterin Digital- und Innovationspolitik des BMWK, am 06.09.2023 gegenüber den rund 100 IGF-Forschungsvereinigungen noch einmal die Entscheidung, die Zusammenarbeit aufzukündigen. Der Verwaltungshelfer soll nun durch den Projektträger des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR-PT) ersetzt werden. Die 54 bisherigen erfahrenen IGF-Sachbearbeiter und -Verantwortungsträger der AiF werden nun kostspielig 'abgebaut'. Gleichzeitig baut das DLR-PT eine IGF-Expertise auf.
Das zweite Informationsgespräch mit Brönstrup diente vor allem der drängenden Klärung einiger praxisorientierter Fragen zum Projektträgerübergang zum Jahreswechsel und zu einigen zukünftigen IGF-Regelungen:
Wirtschaftsgetragen: So sollen auch künftig, wie in der Förderrichtlinie gefordert, nur gemeinnützige und auf freiwilliger Basis 'wirtschaftsgetragene' Forschungsvereinigungen eine Antragsberechtigung erhalten. Tatsächlich berichten immer mehr IGF-Forschungsvereinigungen von spürbar zurückgehenden Industriebeiträgen und zunehmend ungedeckten Administrationskosten ihrer auf KMU-Interessen fokussierenden IGF-Forschung.
KMU-Definition: Immanenter Bestandteil jeder IGF-Forschung ist ein durch die Forschungsvereinigungen sichergestellter reger Wissensaustausch und Ergebnistransfer mit beziehungsweise in Richtung von Mitgliedern projektbegleitender Ausschüsse mit jeweils 10-20 Industrieunternehmen, von denen gemäß Förderrichtlinie mindestens 50 % kleine oder mittlere Unternehmen (KMU) sein müssen. Seit Anfang 2023 wird dabei die KMU-Definition der EU zugrundegelegt, die den KMU-Begriff enger fasst als die zuvor angewendete eigene KMU-Definition der IGF (Umsatz < 125 Mio. Euro). Nach der KMU-Definition der EU zählen über 99,5 % der Unternehmen in Deutschland als KMU. Auf Nachfrage macht Brönstrup klar, dass die EU-Definition trotz der Einsprüche einiger Branchen und deren Wunsch, den KMU-Begriff großzügiger auslegen zu dürfen, weiterhin herangezogen werden wird. Die F.O.M. begrüßt die Entscheidung des BMWK.
Antragsberechtigung: IGF-Anträge können von AiF-Mitgliedsvereinigungen bis zum Jahresende über die AiF eingereicht werden. AiF und DLR-PT regeln die Übertragung sämtlicher Antrags- oder Projektdaten auf die vom DLR-PT genutzten digitalen Portale. Mitglieder der AiF in 2023 bleiben in 2024 und 2025 antragsberechtigt. Für eine IGF-Antragsberechtigung ab 2026 ist eine Akkreditierung notwendig.
Gutachterwesen: Das von AiF und Forschungsvereinigungen aufgebaute Gutachterwesen mit ehrenamtlichen Gutachtern aus Industrie und Akademia soll hingegen übernommen werden, ebenso wie die Praxis, eingegangene IGF-Anträge in Gutachtergruppensitzungen zu besprechen, die teilweise virtuell und teilweise in Präsenz durchgeführt werden sollen. Die für Herbst 2023 angekündigten Gutachtergruppensitzungen werden stattfinden, die darauf folgende Sitzungsrunde ist weiterhin für Januar 2024 geplant. Der Rhythmus mit drei Sitzungsrunden pro Jahr soll beibehalten werden.
Service-Orientierung: "Schlanker, digitaler, effizienter", beschreibt Martin Wegner, Bereichsleiter Gesellschaft, Innovation, Technologie, die Ziele des DLR-PT. Die starke Service-Orientierung der IGF-Verwaltung solle erhalten bleiben. Antragseinreichungen und Projektdurchführungen sollen weiterhin durch die Möglichkeit der individuellen Rücksprache mit den IGF-Sachbearbeitern des DLR-PT unterstützt werden. Ferner kündigt Wegner individuelle Schulungsangebote an.
DENKFEHLER
Was mittelständische Industrie und IGF-Forschungsvereinigungen etwas besorgt: Brönstrup machte im Rahmen der Informationsveranstaltung klar, dass sie die Tatsache, dass das einstige vorbildliche Breitenförderinstrument des innovierenden Mittelstands zu einem Exzellenzprogramm eingedampft ist, positiv bewertet. Eine solche Fehlbewertung ist für die Intention, in Deutschland eine technologische Souveränität im globalen Wettbewerb zurückzuerobern, fatal. Inzwischen werden IGF-Vorhaben nur dann noch bewilligt, wenn die zugehörigen Förderanträge von den Gutachtern mindestens 37 von maximal 40 möglichen Bewertungspunkten erhalten. Seit 2017 sinkt die Anzahl jährlich startender IGF-Forschungsprojekte stetig. Und dennoch schlägt die Regierung in ihrem aktuellen Entwurf des Bundeshaushaltsgesetzes eine weitere Kürzung des Budgets um rund 20 Mio. Euro (ca. 10 %) vor, und das bei einer vorgeschlagenen Neuverschuldung einschließlich "Sondervermögen" von über 85 Mrd. Euro. Brönstrup verweist in ihrer Begründung des knappen Budgets zu Recht auf die hinter uns liegenden Krisen und den Krieg in Europa. Aber ist denn im Bundeswirtschaftsministerium nicht klar, welche Konsequenzen die aktuelle Prioritätensetzung unserer Wirtschaftspolitik für unsere technologische Wettbewerbsfähigkeit und - weitergedacht - für die Robustheit unserer demokratischen Werte in Zeiten globaler Turbulenzen hat? Die Experten des internationalen MERICS-Symposiums "Geopolitics of global innovation competition" am 05.09.2023 ließen keinen Zweifel: In China werden die staatlichen Förderungen für innovationsorientierte Forschung NICHT zurückgefahren.